Die Kraft des Meeres: Warum Menschen mit ADHS so sehr vom Wasser profitieren können

Für mich hat das Meer eine ganz besondere Anziehungskraft. Es ist für mich ein Ort der Ruhe und Erholung. Aber nicht nur das: Am Meer spüre ich eine Freiheit und Leichtigkeit, die es mir ermöglicht, auf eine ganz besondere Art durchzuatmen und loszulassen.


So wie mir geht es vielen anderen Menschen. Und tatsächlich: Die wissenschaftliche Forschung beginnt langsam zu enthüllen, warum das Wasser, insbesondere das Meer, so eine starke Wirkung auf unser Wohlbefinden hat. Und die Erkenntnisse sind meiner Ansicht nach besonders relevant für Menschen mit ADHS - denn besonders für uns und unser ADHS-Gehirn kann das Meer eine besondere Bedeutung und einen enormen Nutzen haben.

Die beruhigende Kraft des Wassers

Von 2016 bis 2020 gab es in Großbritannien das BlueHealth-Project. Es handelte sich um eine wissenschaftliche Initiative, die mithilfe einer digitalen Umfrage in mehreren Ländern die Effekte von sogenannten Blue Spaces (Blauräume/ Blauflächen als Gegensatz zu Grünflächen “green spaces”) auf die mentale Gesundheit untersuchten. Das BlueHealth-Project definierte Blue Spaces als Außenumgebungen – ob natürlich oder künstlich –, die deutliche Wassermerkmale aufweisen und für Menschen zugänglich sind. Dies kann von einem Zierbrunnen in einem städtischen Park bis hin zu Flüssen, Seen und Meeren reichen.


In der Umfrage wurden Fragen zum allgemeinen Wohlbefinden gestellt. Es wurde auch gefragt, wie häufig die Teilnehmer*innen verschiedene natürliche Umgebungen, darunter verschiedene Blau- und Grünflächen, besuchen. Zudem wurden Besuche in Naturräumen genau beleuchtet - mithilfe von GPS Daten und indem die Teilnehmer*innen nach ihrem jüngsten Besuch gefragt wurden, wie die Umgebung beschaffen und wie der Besuch gestaltet war. Diese Daten wurden dann analysiert, um herauszufinden, ob ein Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden und Aufenthalten in der Natur besteht.


Die Studie des BlueHealth-Projects sowie zahlreiche andere Forschungen haben gezeigt, dass natürliche Gewässer eine signifikante Wirkung auf die psychische Gesundheit haben. Orte am Wasser – sei es ein ruhiger See, das Meer oder ein plätschernder Fluss – bieten eine Kombination aus sensorischen Erfahrungen, die sowohl beruhigend als auch belebend sein können. Für Menschen mit ADHS, die oft Schwierigkeiten haben, ihre sensorische Verarbeitung zu regulieren und von Umgebungsreizen überwältigt werden können, bietet das Wasser eine sanfte, aber konstante sensorische Stimulation.

Was macht gerade das Meer so besonders und welchen Einfluss kann es auf ADHS haben?

Das Meer bietet eine einzigartige Kombination aus visuellen, akustischen, taktilen und olfaktorischen Reizen, die auf natürliche Weise beruhigend wirken. Das rhythmische Rauschen der Wellen, das sanfte Wiegen des Wassers, der Wind (mal leicht säuselnd, mal steife Brise) und der salzige Geruch der Luft können helfen, den oft hektischen Gedankenstrom, der für ADHS charakteristisch ist, zu beruhigen.


Wissenschaftler*innen erklären dies mit der "Attention Restoration Theory" (ART, zu deutsch: Theorie der Aufmerksamkeitswiederherstellung), die besagt, dass Menschen sich besser konzentrieren können, nachdem sie Zeit in der Natur verbracht haben (oder sogar Bilder oder Videos davon betrachtet haben). Natürliche Umgebungen sind reich an "sanften Stimuli", mit denen sich das Gehirn in "müheloser Aufmerksamkeit" beschäftigen kann, wie Wolken, die über den Himmel ziehen, Blätter, die im Wind rascheln, oder Wasser, das über Steine in einem Bach plätschert. Die Aufmerksamkeitskapazitäten des Menschen werden sozusagen wiederhergestellt, man könnte auch sagen die Aufmerksamkeitsbatterien werden wieder aufgeladen.


Die ADHS zeichnet sich im Kern durch Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeitssteuerung und durch eine leichtere Erschöpfbarkeit der Aufmerksamkeitsspanne aus, daher sind diese Effekte für Menschen mit ADHS besonders wertvoll.

Die Ergebnisse der Studie des BlueHealth-Projects zeigten, dass sich der Aufenthalt in allen Naturräumen (Parks, Wälder, Flüsse, Berge, Seen, Meer) positiv auf die kognitiven Kapazitäten, die Stimmung und das allgemeine Wohlbefinden auswirkt. Diese Effekte waren aber mit Abstand am stärksten beim Aufenthalt am Meer.

Meine persönliche Erfahrung mit dem Meer

Als jemand, der selbst mit ADHS lebt, habe ich die beruhigende Wirkung des Meeres zum Glück selbst schon oft erleben dürfen. Schon als Kind waren Urlaube am Meer für mich eine Zeit, in der ich mich frei und ungezwungen fühlen konnte. Heute nutze ich jede Gelegenheit, um am Meer zu sein, sei es zum Surfen (meine große Leidenschaft, dazu werde ich auch demnächst noch einen Artikel schreiben) oder einfach nur, um am Strand zu sitzen und den Wellen zuzuschauen. Jedes Mal kehre ich mit einem Gefühl der Erneuerung und Klarheit zurück - bereit, die Herausforderungen des Alltags mit neuer Energie zu bewältigen.


Das Meer ist mehr als nur ein Ort, an dem man schöne Urlaube verbringen kann. Es reguliert das globale Klima durch Absorption von Kohlendioxid und beeinflusst durch Meeresströmungen die Wärme- und Energieverteilung. Es produziert einen wesentlichen Teil des atmosphärischen Sauerstoffs durch Phytoplankton und beherbergt eine enorme Artenvielfalt, die ökologisch essentiell ist. Für uns Menschen ist es eine Quelle der Erholung, der Heilung und der Inspiration. Auch aus diesem Grund ist es so wichtig, es zu schützen. Durch das Verständnis und die Nutzung seiner vollen Kraft können wir nicht nur die Herausforderungen durch unsere ADHS besser handhaben, sondern auch einen tieferen, erfüllenderen Zugang zu unserer eigenen inneren Ruhe finden.

Was hilft uns dieses Wissen im Umgang mit unserer ADHS im Alltag?

Für Menschen mit ADHS kann das Integrieren von Aufenthalten am Wasser in den Alltag ein wirksames Mittel sein, um Stress abzubauen und die Lebensqualität zu verbessern. Wenn der regelmäßige Zugang zum Meer nicht möglich ist, kann ein Urlaub am Meer eine sehr wohltuende Auszeit bieten.


Im alltäglichen Leben kann es jedoch auch sehr nützlich sein, regelmäßig Zeit an lokalen Gewässern wie Seen oder Flüssen zu verbringen. Obwohl die Forschungsergebnisse des BlueHealth-Projects zeigen, dass die positiven Effekte am Meer am stärksten sind, haben auch andere Gewässer ihre eigenen wohltuenden Eigenschaften. Das Plätschern eines Flusses oder die ruhige Oberfläche eines Sees bieten ebenfalls eine Quelle der Ruhe und können eine sanfte Entspannung für das Gehirn darstellen.


Für Menschen mit ADHS kann auch der regelmäßige Besuch solcher Orte helfen, die Aufmerksamkeitsbatterien wieder aufzuladen. Diese natürlichen Umgebungen ermöglichen es dem Gehirn, von der ständigen Anforderung, die Aufmerksamkeit hoch zu halten, ein wenig abzuschalten und stattdessen in einen Zustand der mühelosen Aufmerksamkeit zu treten.


Ich selbst merke es immer ganz stark, wie sehr es mir gut tut, Zeit am Wasser zu verbringen.


Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die positiven Auswirkungen des Wassers zeigen für mich ganz deutlich, wie sehr wir davon profitieren können, wenn wir unseren Alltag und unsere Umgebung an unsere Bedürfnisse anpassen. Besonders als Menschen mit ADHS.


Daher finde ich, dass im ADHS-Coaching nicht nur ADHS-freundliche Strategien (z.B. zu Zeitmanagement, Organisation oder Aufgabenplanung) eine Rolle spielen sollten. Das wäre zu kurz gedacht. Wir müssen auch die Lebensumgebung und Alltagsgestaltung in den Blick nehmen, denn hier liegen meiner Ansicht nach die zentralen Stellschrauben für einen wohlwollenden, hilfreichen und auch wirklich nachhaltigen Umgang mit uns und unserer ADHS:


  • Schaffe ich mir genügend Auszeiten in meinem Alltag, um meine Batterien aufzuladen?
  • Lasse ich mir und meinem Gehirn genügend Raum, um auch mühelose Aufmerksamkeit zu erleben und mal wirklich abzuschalten?
  • Wie und wo verbringe ich meine Pausenzeiten und meine Freizeit?


Ich denke, diese Fragen können wir uns immer wieder stellen, wenn es darum geht, gut mit uns und unserer ADHS zu leben. Vielleicht ja sogar bei einem Spaziergang im nächsten Park, im Wald, am nächsten Fluss oder sogar bei einem Strandspaziergang. 🙂

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