Das Phänomen des Maskings bei ADHS: Warum Menschen mit ADHS ihre Symptome verbergen

ADHS, kurz für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, ist eine komplexe, oft missverstandene neurobiologische Besonderheit. Zu den bekannteren Herausforderungen der ADHS gehören Symptome der Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Doch ein Aspekt der ADHS bleibt häufig unbeachtet: das sogenannte Masking. Menschen mit ADHS sind häufig wahre Profis, wenn es um die Kunst des Maskierens geht - mit weitreichender Bedeutung. Aber was genau bedeutet Masking und warum ist es wichtig, über Masking im Zusammenhang mit ADHS zu sprechen?


Was ist Masking?

Masking bedeutet das bewusste oder unbewusste Verbergen oder Unterdrücken von ADHS-Symptomen nach außen. Menschen mit ADHS versuchen häufig, ihre Symptome in bestimmten Situationen zu kaschieren und sich anzupassen. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig und reichen von sozialen Erwartungen bis hin zu verinnerlichten Überzeugungen über “Normalität”.


Menschen mit ADHS maskieren unter anderem aus folgenden Gründen:


  • Gesellschaftliche Akzeptanz: Ein Hauptgrund ist der Wunsch nach Akzeptanz. ADHS-Symptome offen zu zeigen, kann zu Stigmatisierung führen und viele befürchten negative Bewertungen und Ausgrenzung.


  • Berufliche Anforderungen: In beruflichen Kontexten kann es notwendig erscheinen, Symptome zu verbergen, um als kompetent und zuverlässig wahrgenommen zu werden. Das Offenlegen ADHS-bezogener Schwierigkeiten kann negative Folgen haben.


  • eigene Erwartungen und Selbstwertgefühl: Oftmals veranlassen verinnerlichte Erwartungshaltungen Menschen mit ADHS dazu, ihre Symptome zu verbergen. Insbesondere wenn sie negative Erfahrungen mit Offenheit gemacht haben. Sie streben danach, den eigenen Erwartungen und denen anderer gerecht zu werden. Häufig fällt es ihnen schwer, sich und anderen ihre Schwierigkeiten einzugestehen.


Wir dürfen nicht vergessen: Menschen mit ADHS bekommen häufig von der Kindheit an immer wieder gesagt, sie sollten nicht so sein wie sie sind, Dinge nicht so tun, wie sie sie tun, weniger dies, dafür mehr das tun und sie müssen sich ständig erklären, wieso, weshalb, warum sie etwas getan, nicht getan oder anders getan haben. Menschen mit ADHS werden missverstanden, ihre Schwierigkeiten werden nicht ernst genommen und sie werden häufig kritisiert.


Das kann einen beachtlichen Einfluss auf die Entwicklung des eigenen Selbstwerts haben. Insbesondere wenn keine frühe Diagnose gestellt wird und das eigene “Anderssein” nicht als ADHS-bezogene Unterschiede, sondern als persönliche Unzulänglichkeiten und persönliches Versagen interpretiert wird.


Um den Erwartungen des Umfelds gerecht zu werden und negative Bewertungen zu vermeiden, entwickeln Menschen mit ADHS daher häufig viele Verhaltensweisen, die ihnen dabei helfen, sich anzupassen, eigene Eigenschaften und Merkmale zu unterdrücken und Schwierigkeiten nicht nach außen sichtbar werden zu lassen: Masking-Strategien.

Häufige Masking-Strategien von Erwachsenen mit ADHS

Aus unserer Erfahrung haben wir einige typische Maskingstrategien gesammelt:


  • Vorwände einfallen lassen, um in Meetings, Vorlesungen etc. aufzustehen, z.B. auf die Toilette gehen


  • sich in Gesprächen und Meetings nicht beteiligen, um nicht den Faden beim Sprechen zu verlieren


  • wiederholend nicken und zustimmen in Meetings oder Gesprächen, auch wenn man in Wirklichkeit nicht aufmerksam war


  • sich mit den Beinen an Stuhl- oder Tischbeinen “festklemmen”, um nicht damit zu zappeln


  • sich Ausreden fürs Zuspätkommen oder Vergesslichkeit einfallen lassen


  • viel zu früh zu einem Treffen erscheinen, in der Nähe warten und dann genau pünktlich kommen


  • ständiges Überprüfen und Nachkontrollieren, z.B. um bei Aufgaben nichts zu vergessen oder zu übersehen


  • Vergesslichkeit verstecken, z.B. alles aufschreiben, viele Erinnerungen und Notizzettel, so tun als ob man sich (wieder) erinnert


  • übermäßige Vorbereitung, z.B. für Aufgaben, Treffen oder Präsentationen


  • Vermeiden von sozialen Situationen oder Aktivitäten, in denen ADHS-Symptome offensichtlich werden könnten


  • andere nicht nach Hilfe fragen und versuchen, Aufgaben alleine hinzubekommen


  • Verstecken von Unordnung, z.B. schnell aufräumen bevor Besuch kommt, um Desorganisation zu verbergen


  • “durchhalten” und so tun, als wäre alles okay, obwohl man in einer Situation überfordert ist

Das Dilemma des Maskings

Masking-Strategien sind sehr vielschichtig und individuell. Sie können sehr effektiv wirken, d.h. sie helfen dabei, nicht durch ADHS-bezogene Schwierigkeiten aufzufallen. Dadurch können Konfrontationen und Urteile anderer vermieden oder abgeschwächt werden.


Früher oder später kann es jedoch durch das ständige Verbergen der eigenen Symptome und des wahren Selbst zu erheblichen psychischen Belastungen und Folgeproblemen kommen:


  • Fehlende Authentizität: Die Anpassung geht häufig auf Kosten der eigenen Authentizität. Es wird eine konstante Selbstzensur betrieben, um “normal genug” zu sein. Die eigenen Schwierigkeiten und das eigene Selbst werden versteckt und dadurch auch man selbst. Das kann so weit gehen, dass gar nicht mehr klar ist, was einem selbst eigentlich wichtig ist im Leben. Das eigene Leben wird nicht mehr nach eigenen Werten gestaltet.


  • Erschöpfung: Das ständige Aufrechterhalten einer Fassade kann emotional und mental sehr anstrengend sein, denn es fordert die Fähigkeit zur Selbstregulierung heraus. Diese fällt Menschen mit ADHS jedoch besonders schwer und kostet viel mentale Kapazität - und zwar neurobiologisch bedingt. Wer viel maskieren muss und keine Erholung mehr findet, kann in der permanenten Erschöpfung landen, welche bis hin zum Burnout gehen kann.


  • Selbstwertprobleme: Zwar dienen Masking-Strategien häufig dem Zweck, das eigene Selbstwertgefühl zu schützen, da gefürchtete Kritik und Ablehnung vermieden werden sollen. Das Gefühl, sich ständig verstellen zu müssen, kann jedoch langfristig ebenfalls das Selbstwertgefühl untergraben. Das ständige und automatische Verstecken der eigenen ADHS-bezogenen Unterschiede steht der eigenen Selbstakzeptanz im Weg. Eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen ADHS und das Aufspüren wirklich hilfreicher Strategien im Umgang damit, wird massiv erschwert.


  • Diagnoseprobleme und fehlende Unterstützung: Bei Personen, die ihre ADHS-Symptome sehr gut verbergen, kann es schwieriger sein, eine korrekte Diagnose zu stellen und die passenden Behandlungs- und Unterstützungsangebote zu machen. Nach außen können die ADHS-Symptome nicht auffallen. Behandler*innen wie Betroffene können daher Schwierigkeiten haben, die zugrundeliegenden Probleme zu erkennen, die zur vordergründigen großen Erschöpfung und weiteren psychischen Symptomen geführt haben.


Menschen mit ADHS versuchen verständlicherweise, sich selbst zu schützen, indem sie versuchen, sich an ihre Umwelt anzupassen, erfahren jedoch hieraus auch oftmals negative Konsequenzen. Demnach stellt sich die Frage: Was trägt wirklich zu einem besseren Umgang mit ADHS und einer Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit ADHS bei?


Leben mit ADHS ohne Maske: Verständnis und Akzeptanz

Es gibt viele hilfreiche Strategien für den Umgang mit ADHS im Alltag. Ob eine Strategie wirklich hilfreich ist, ist sehr individuell. Aus meiner eigenen und meiner Praxiserfahrung ist es oftmals ein schmaler Grad: Vereinfacht die Verwendung einer bestimmten Strategie das eigene Leben mit ADHS langfristig? Oder macht sie es komplexer und trägt eher dazu bei, dass noch mehr Anforderungen daraus resultieren?


Für einen besseren Umgang mit ADHS und eine Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit ADHS ist es sehr wichtig, auch die Umgebung grundlegend besser an die eigenen Bedürfnisse, die das ADHS-Gehirn mitbringt, anzupassen. Dazu braucht es mehr Verständnis für ADHS und mehr Akzeptanz der ADHS - sowohl bei Menschen mit ADHS und ihrem Umfeld als auch in der Gesellschaft allgemein. Stereotypen und Missverständnisse müssen hierfür abgebaut und die Besonderheiten von Menschen mit ADHS müssen besser verstanden und ernst genommen werden.


Für Menschen mit ADHS kann die Unterstützung durch Fachleute und der Austausch mit anderen sehr hilfreich sein. Durch ein verbessertes Verständnis und Akzeptanz der ADHS kann das Bedürfnis bzw. die Notwendigkeit des Maskings reduziert und eine höhere Lebensqualität erreicht werden. Menschen mit ADHS sollten ermutigt werden, ihre Erfahrungen zu teilen, Unterstützung zu suchen und Wege zu finden, authentisch zu sein.


Zusammenfassung

  • Definition von Masking: Bewusstes oder unbewusstes Verbergen von ADHS-Symptomen in verschiedenen Kontexten.


  • Hauptgründe für Masking:
    • Gesellschaftliche Akzeptanz: Angst vor Stigmatisierung und negativer Bewertung
    • Berufliche Anforderungen: Notwendigkeit, als kompetent und zuverlässig wahrgenommen zu werden
    • Eigene Erwartungen und Selbstwert: Negative Erfahrungen durch Offenheit, verinnerlichte Erwartungen und das Streben, Erwartungen gerecht zu werden.


  • Einfluss von Missverständnissen und Kritik: Menschen mit ADHS erhalten oft negative Rückmeldungen und erleben Missverständnisse und Zurückweisung, was den Selbstwert beeinflussen kann.


  • Häufige Masking-Strategien: Vorwände für Bewegung, passive Beteiligung in Gesprächen, übermäßige Vorbereitung, Verstecken von Vergesslichkeit und Unordnung, Vermeidung von sozialen Situationen und mehr.


  • Dilemma des Maskings:
    • Fehlende Authentizität: Das ständige Verbergen führt zur Selbstzensur und mangelnder Selbstverwirklichung.
    • Erschöpfung: Dauerhaftes Masking kann emotional und mental anstrengend sein und zum Burnout führen.
    • Selbstwertprobleme: Konstantes Masking kann das Selbstwertgefühl untergraben.
    • Diagnoseprobleme: Masking kann eine korrekte Diagnose und Unterstützung erschweren.


  • Leben mit ADHS ohne Maske: Noch wichtiger als spezifische Strategien ist oftmals die Anpassung der Umgebung und das Verständnis von ADHS.


  • Notwendigkeit zur Reduzierung von Vorurteilen und Missverständnissen


  • Fachliche Unterstützung und Austausch sind entscheidend für ein besseres Verständnis und Akzeptanz.


  • Menschen mit ADHS sollten ermutigt werden, authentisch zu sein und Unterstützung zu suchen.


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